Prima Center Berlin

Heute in 16 Jahren - Das Warten auf den So(oh!)Zialismus

Archi Galentz

Eröffnung
1. juli ab 20h


von 01.07.2005 - bis 01.09.2005

künstler archi galentz wird eine transaktive performance vorbereiten. die Ausstellung wird bis zum 9.aug.05 geöffnet sein. parallel dazu ist galentz in der ausstellung "urbane realitäten: fokus istanbul" im martin-gropius-bau vertreten.

archi galentz
geb.1971 in moskau, russischer staatsangehöriger, absolvent der udk berlin als meisterschüler. seit 14 jahren wohnhaft in berlin, moskau und jerewan.

ausstellungskonzeption
in den zwei ausstellungsräumen des prima centers werden einige ölbilder, grafiken, gouachen, fotos, objekte gezeigt. zudem wird auch direkt auf die wand gemalt. ausserdem werden einige arbeiten anderer
künstler in die exposition integriert. für die entstehung dieser ausstellung waren folgende faktoren ausschlaggebend:

1.- mit dem künstler jovan balov (foto rechts) verbindet mich eine schon über 5 jahre dauernde freundschaft: wir haben gemeinsam eine reihe ambizionierter projekte realisiert, so z.b. "absolut borders" bei der messe der aktuellen kunst "berliner liste" und bei der ausstellung "weder im himmel noch auf erden" im museum für zeitgenössische kunst, skopje, macedonien, beide im jahr 2004.
da jovan balov im gleichem jahr auch ein mitglied des "kunstvereins kolonie wedding" wurde und einen eigenen "raum von künstlern für künstler" eröffnete, nahm ich dankend sein angebot, dort eine einzelausstellung zu realisieren, an. der entscheidende symphatiefaktor für mich war dabei die tatsache, dass dieser ausstellungsraum keinerlei vorbedingungen stellte und/oder zu kompromissen zwang.
ich war in der plannungsphase von zeitfressender vorbereitungsbürokratie und unwürdiger mittelbeshaffung befreit, welche oftmals bedingungen für die zusammenarbeit mit den meisten etablierten
kunstinstitutionen ist.

2.- da aber erfahrungsgemäss jedes ausstellungsprojekt einen sehr hohen materiellen einsatz fordert und berlin im ganzen, wedding im besonderen, nicht die orte sind, wo man hoffen könnte, ein finanzielles feed-back zu erzielen macht es nur sinn sich mit "fundamentalen" themen zu beschäftigen, die auf langfristig angelegte wirkung zielen.
seit meinem kunststudium an der berliner udk versuchte ich möglichst genau die zeitgenössische kunstentwicklung meiner "sowjetischen" heimat zu beobachten. die tendenzen im innenrussischen diskurs einerseits und die wahrnehmung der kunst des "grossen nachbarn im osten" aus dem westlichen blickpunkt. mich beunruhigte nach und nach die tatsache, dass die russische kunstentwicklung weniger auf eigener inner-gesellschaftlicher dynamik basierte, und man gezwungen war, seine identifikation in einem ständigen dialog mit einem international agierendem kunstsystem zu finden.
ausserdem entwickelte sich dieser dialog einseitig und bekam deutlich die züge eines image-liefersystems, gesteuert durch den mechanismus des angebots und der nachfrage. heute, rückblickend behaupte ich, dass es fast ausschliesslich nur die künstler der 90-er jahre russlands eine erfolgreiche kariere im westlichem kunstbetrieb vorweisen konnten, die spekulativ oder teilweise völlig unbewusst unter erfolgtrunkenheit dem negativen und erniedrigenden imagebild des russlands zugearbeitet hatten.

es war wahrscheinlich eine die frage der zeit bis künstler heranwachsen würden, die diesen weg für sich unaktzeptabel finden würden und sich den luxus leisten würden, nach wirklichen alternativen zu suchen. dabei ist prima center für mich ein idealer ort, sich mit diesen themen auseinanderzusetzen. deswegen zeige ich bei dieser ausstellung nicht nur einzelne bilder, fotos, objekte, sondern auch postkarten, skizzen , und einige briefe.
3.-am 8.juni 2001 präsentierte der viel beachtete philosoph und psychoanalytiker slavoj zizek in einer kiepert-filiale seine neue publikation. dabei hat er in einer anschliessenden diskussion die rückkehr des sozialismus prognostiziert: weltweit, in ca. 20 jahren.
ich machte damals porträtskizzen in einem skizzenbuch und schrieb gelegentlich mit. die oben erwähnte aussage wurde von mir leider nicht fixiert, aber ich merkte mir seine argumentation gut:

kapitalismus braucht ständige expansion, aber der planet und seine ressourcen sind begrenzt. und deshalb
erwartet den kapitalismus stagnation und implosion. "wir werden es noch erleben" wendete sich slavoj zizek zum publikum, und ich persönlich empfand seine worte als eine art religiöse offenbarung.

ich porträtierte damals weiter in meiner berliner umgebung und sah bei jungen gesichtern statt glücksausstrahlung angst und erschöpfung.
während des internationalen kongresses "the post-communist condition" in berlin im "das moskau-kongresszentrum" vom 10.-12. juni 2004, hatte ich gelegenheit slavoj zizek wieder zu erleben. ich
machte nicht nur einige fotos und skizzen, sondern ich schenkte ihm eine radierung und bat ihn als
gegenleistung, mir die oben erwähnte prognose noch einmal zu bestätigen. das tat er auch ohne jede ironie!

4.-im frühjahr dieses jahres eröffnete ich in eckernförde die einzelausstellung "roter november".
dabei zeigte ich mehrere fotos aus moskau; bei meiner letzte reise nach moskau im winter 2004 hatte ich dort ein ganz anderes bild vorgefunden als das hier in den medien vorgestellte. die soziale spannung ist deutlich spürbar. eine neue radikale "linke" ist im entstehen, die nichts mit der "alten garde" zu tun hat. es ist
vielleicht bezeichnend das zur zeit ein internet-forum läuft, "linke theorie", in dem beachtete künstler mit grossm engagement beiträge vorstellen.

nach meiner ankunft in berlin als gaststudent im jahre 1992 habe ich einige jahre die bibliothek des
osteuropainstitus besucht, fasziniert von den arbeiten russischer dissidenten. davon zeugt auch eine frühe
lithographie die ich hier ausstelle. als heran-wachsender in moskau war ich ein "kommunismusverachter". ich kann immer noch nicht begreifen: wie konnte man unter der fahne der freiheit eine staatliche versklavung des geistes schaffen.

die präsentation dieser ausstellung möchte ich trotzdem ins licht eines "agitations-zentrums" tauchen, und dem ganzen die ästhetik eines museums der revolution verleihen: nicht einem rückwärtsgewandten, sondern einem in die zukunft gerichteten.